Dienstag, 25. April 2017

Begeisterung für Landessprachen

Es gibt Lehrerinnen und Lehrer, die das Französische in der Primarschule unterrichten, aber die Sprache zu mangelhaft beherrschen, um den Weg nach einer Bus-Haltestelle erfragen zu können. Die fehlende Fähigkeit als Folge der fehlenden Freude, sich ennet der Saane barrierenfrei zu bewegen, ist der wesentliche und nie eingestandene Grund für die Ablehnung des Frühfranzösischen.

Hätte die Lehrerschaft die Schönheit, den Reichtum und die Nützlichkeit des Französischen, die Faszination der französischen Welt und die enormen Leistungen der Romandie für die Schweiz entdeckt, wäre unsere zweite Amtssprache ein begeistert erteiltes Schulfach. Die Wirklichkeit besteht aus Ächzen und Stöhnen und aus der verzweifelten Suche nach Ausreden, um das Französisch an der Primarschule zu bodigen.

Das Hickhack um das Französisch an der Primarschule ist Kleingeisterei. Mag die Wissenschaft für die Suche nach Vorteilen und Nachteilen ihren orientierenden Dienst versagen: einig ist sie sich im Urteil über den hohen kulturellen und impulsgebenden Wert eines viersprachigen Landes und den daraus zu ziehenden Gewinn für den Einzelnen.

Es müsste eine Selbstverständlichkeit sein, die Schulkinder früh mit unserem spannenden Lebensraum vertraut zu machen und ihnen den sprachlichen Zugang zu erleichtern. Diese Zielformulierung mit staatslenkender Beherztheit wäre Sache der Politik. Die Pädagogik hätte sich um die praktische Umsetzung dieser Vorgabe zu kümmern und um die Überwindung bedenkenträgerischer Verzagtheit. Alex Bänninger

Zum Thema lesenswert ist das „Dossier Mehrsprachigkeit“ im „Bulletin SAGW“ 1/2017, das die Schweizerische Akademie für Geistes- und Sozialwissenschaften viermal jährlich herausgibt.
Ebenfalls zum Thema: Podiumsdiskussion in Meilen am 2. Mai.

Donnerstag, 13. April 2017

200 Jahre Sozialbehörde Männedorf

Der Ausbruch eines indonesischen Vulkans führte heute vor 200 Jahren zur Gründung der Sozialbehörde Männedorf. Aus aktuellem Anlass rekapituliert die CVP Männedorf die wechselhafte und spannende Geschichte dieser Behörde, die oft etwas im Schatten des Gemeinderates und der Schulpflege steht.


Die grösste bekannte Eruption eines
Vulkanes veränderte Männedorf.
Im April 1815 brach der Vulkan Tambora im heutigen Indonesien aus – und zwar so heftig, dass die ausgestossene Schwefel- und Aschewolke sich rund um die Erde verteilte und das Sonnenlicht so stark filterte, dass die Temperaturen bis 1819 merklich abkühlten. Im „Jahr ohne Sommer“ 1816 (die ZSZ berichtete) gab es Schnee und Ernteausfälle, die süddeutschen Staaten liessen ihre Grenzen für Nahrungsmittelexporte in die Deutschschweiz schliessen, die Preise schossen in die Höhe. Die Situation der Bevölkerung verschlechterte sich über den Winter 1816/17 dramatisch. Der Gemeinderat von Männedorf sah sich zum Handeln gezwungen. Da er und der Stillstand (reformierte Kirchenpflege) jedoch schon stark durch die übrigen Aufgaben belastet waren, beschlossen die beiden Behörden am 13. April 1817, ein neues Gremium ins Leben zu rufen: die heutige Sozialbehörde.

Im Waschhaus Billeter begann 1817
die Arbeit der heutigen Sozialbehörde
Männedorf. (Foto: Ruedin)
Im Waschhaus des Kaspar Billeter auf Blatten, in dem sich heute eine Craniosacral-Praxis befindet, wurde Sozialhilfeempfängern täglich eine Portion frisch zubereiteter Suppe abgegeben; die übrigen Einwohner konnten ebenfalls Suppe beziehen, zwar nicht gratis, jedoch stark subventioniert. Finanziert wurde diese „Suppenanstalt“ durch eine neu eingeführte „Armensteuer“ von sechs Rappen pro hundert Franken Vermögen. Nach dem Rückgang der Teuerung wurde die Suppenabgabe im Mai 1818 zwar eingestellt; um auf die ungeliebte Armensteuer verzichten zu können, schwebte Männedorf die sich selbstfinanzierende Sozialhilfe vor. Kurzerhand nahm die Sozialbehörde die Funktion einer Baukommission war und plante ein Armen- und Arbeitshaus, den 1819 für 8160 Gulden erbauten Allmendhof (heutiges Haus B). Arme und Alte bekamen dort zwar Kost und Logis, mussten dafür auf dem angegliederten Bauernhof und in der Hauswirtschaft mitarbeiten. Auf die Armensteuer konnte fortan verzichtet werden.
Allmendhof und Allmendhöfli 1908.
(Archiv Ortsgeschichte)

Die Waisenkinder in Männedorf
haben es vor dem Allmendhöfli
lustig - zumindest als 1900 der
Fotograf kam. (Archiv Ortsgeschichte)
Es zeigte sich, dass die Unterbringung von Armen, Alten, Alkoholikern und Waisenkindern im gleichen Schlafsaal ungeeignet war. Entsprechend wurde neben dem Allmendhof 1867 ein Kinderhaus erstellt, das sogenannte Allmendhöfli. Erst 1914 wurde der Waisenhausbetrieb ganz vom Allmendhof getrennt und er bezog einen Neubau in der Gruben. Am Vorabend des zweiten Weltkrieges wurden die Waisenkinder in Pflegefamilien plaziert und das Waisenhaus dem Kanton verkauft. Es beherbergt heute die kinderpsychiatrische Kinderstation Brüschhalde. Das Armenhaus hiess ab 1921 Bürgerheim und nach 1949 Altersheim. Das Angebot wurde 1956 mit einer Pflegeabteilung erweitert. Damals sprach man noch von einem Asyl für Chronischkranke. Daneben kümmerte sich die Sozialbehörde um die Suchtprävention, um das 1912 gesamtschweizerisch einheitlich geregelte Vormundschaftswesen, das sie per 2013 an die kantonale Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde abtreten musste. Später kamen neben der wirtschaftlichen Hilfe die Betreuung von Asylsuchenden – hier konnte die Sozialbehörde immerhin auf Erfahrung der Betreuung von 300 internierten französischen Soldaten der Bourbaki-Armee 1870/71 im Neugut zurückgreifen – und vor einem Jahrzehnt das Eltern-Kind-Zentrum dazu.

Das neue Waisenhaus von 1914
dient heute der Psychiatrischen
Uniklinik als Kinderstation.
(Zeichnung Mathilde Bunn)
So wie sich die Aufgaben der Sozialbehörde im Verlaufe der vergangenen 200 Jahre immer wieder geändert haben, wechselte auch deren Name. So trifft man in den alten Akten unter anderen auf Begriffe wie Armenpflege. Was sich jedoch wie ein roter Faden durch die vergangenen Jahrhunderte zieht, ist, dass die Sozialbehörde den Gemeinderat seit 1817 im sozialen Bereich entlastet, mit grosser Umsicht in Not geratenen Menschen beisteht und unterstützt, wieder wirtschaftlich unabhängig zu werden. Dies geschieht nicht immer ohne Diskussionen – weder 1817 bei der Einführung der Armensteuer, noch 2017 bei der Anpassung an die neue Gemeindeordnung. Sicher ist jedoch: Auch in den kommenden Jahren wird die Sozialbehörde in Männedorf sich um Bedürftige kümmern, ab Mitte nächsten Jahres in einer neuen Form, wieder einmal unter einem neuen Namen und nicht mehr als selbständige Kommission. Was bleibt, ist ihr Einsatz für Menschen in Not – auch im dritten Jahrhundert. Etienne Ruedin

Quellen:

  • Carl Bindeschedler: Geschichte der Gemeinde Männedorf. Stäfa, 1938.

  • Etienne Ruedin: Mänidorf, es Läsibuech. Eigenverlag: Männedorf, 1990.
  • Peter Ziegler: Männedorf. Gemeindeverwaltung: Männedorf, 1975