Es war eine fast unvorstellbar andere Zeit, als die Seegemeinden noch halb so gross waren, die Leute zu Fuss oder dem Zweirad zur Arbeit gingen und das Mittagessen zu Hause einnahmen. Zu jener Zeit, man schrieb das Jahr 1958, zog der spätere Weltmarktführer für Brandmelder, die Cerberus AG, von Bad Ragaz nach Männedorf und mit ihr auch ein Heer von Arbeitern. Unter ihnen befand sich der junge Glasbläser Gustav Eicher. Zusammen mit seiner Frau fand er eine Wohnung in der von Cerberus-Direktor Meili mitinitierten Genossenschaft im Hasenacker. Bald schon kannte das halbe Dorf Eicher: sei es als umsichtigen Betriebssanitäter, sei es als Mitglied der Kirchgemeinde, sei es aktiv in der Politik - bereits 1959 wurde er Präsident der heutigen CVP -, sei es als Neuzuzügerbegrüsser.
In der Tat: Kaum war der letzte Zügelkarton ausgepackt, kam schon Gustav Eicher mit seinem Mofa angefahren, kramte aus der Satteltasche ein praktisches Begrüssungsgeschenk aus seinem Garten für die Frau des Hauses: einen Salat oder zwei Fenchel und versuchte dann deren Gatten für die CVP zu werben. Auch wenn diese Privatinitative im Dorf von manchen belächelt wurde, steigerte die CVP dadurch ihre Mitgliederzahl in eine Höhe, welche heute selbst Freisinnige erblassen lässt und kam auf einen Wähleranteil von bis zu dreizehn Prozent. Daneben organisierte Eicher Privatautos für den Transport an die Pfannenstieltagung, wo politische Schwergewichte wie Nationalrat Paul Eisenring Themen lancierten und besuchte regelmässig Alte und Vereinsamte. Als eigentlicherhomo politicus, liess er es sich natürlich nicht nehmen, diese vor Wahlen und Abstimmungen an ihre Bürgerpflichten zu erinnern.
Unabhängig von seiner politischen Mission stand Eicher selbstlos auch Menschen bei, die am Rande der Gesellschaft lebten, half Ausländern mit behördlichem Papierkram oder liess seine Beziehungen spielen, dass Arbeitslose wieder eine Stelle fanden. Mit einem selten guten Gespür, wie in Männedorf der politische Karren läuft, fand er immer wieder die passenden Kandidaten, an welchen auch die Stimmbürger gefallen fanden - Eicher selbst blieb im Hintergrund und hatte nie ein öffentliches Amt inne. In den Anfängen seines 27jährigen Präsidiums kämpfte er noch gegen den fast allmächtigen Gemeindeverein, welcher die aufstrebende CVP ungern an den Gemeindeversammlungen sah. Listig bestellte er seine Parteimitglieder eine Stunde früher zur reformierten Kirche, wo die CVP-Mitglieder ihr Plätze einnahmen, bevor man ihnen den Einlass verwehren konnte.
Selbst nachdem er 1986 die Parteileitung in jüngere Hände übergeben hatte, blieb Eicher aktiv, verteilte noch weit über 80 Jahre alt Wahlprospekte und posierte zuletzt vor 3 Jahren für ein Kinodia zur Generationenpolitik seiner Partei im Kino Wildenmann. Am vorletzten Mittwoch ist Gustav Eicher am Vortag seines 90. Geburtstags verstorben. Männedorf verliert mit ihm nicht nur einen Vertreter einer vergangenen Zeit und ein Original, sondern auch einen Menschen, der durch seinen unvorstellbaren Einsatz für sein Dorf aufgefallen ist, einen Menschen, der mit seinem Gemeinsinn uns heute auch Vorbild sein kann. Er stand nicht nur am Anfang so mancher politischen Karriere in Männedorf; die Ernte seines selbstlosen Engagements waren wohl die unzähligen Besuch seiner Freunde, Bekannten, Kollegen und Weggefährten im Altersheim Allmendhof - vom Briefträger bis zur Nationalrätin.
Etienne Ruedin, Präsident CVP Männedorf
Beisetzung: Donnerstag, 9. Juni, 13:30 Friedhof Männedorf, Gottesdienst 14:00 kath. Kirche Männedorf